Tracht / Trachten: So sehen wir das….

 

Tracht oder Trachten –

Oder warum es nicht immer höher-schneller-weiter sein muss.

 

Da ja zur Zeit wieder jede Menge Promi-Damen, Edel-Couture-Schneider und Mode-Bloggerinnen auf den Trachtenzug aufspringen müssen wir dazu jetzt auch mal was loswerden.

Es ist schon wirklich befremdlich, wenn eine norddeutsche Dirndl-Couture-Designerin  ausführlich über die Grundlagen der Tracht referiert, und als Beispiel für Tradition dann eines der Super-Glitzi-Prächtig-Dirndl darstellt. Genauso eigenartig wirkt es auf uns, wenn eine hippe Heimat-Bloggerin das hochgeschlossene Woll-Dirndl als die einzig wahre Tracht der Region darstellt, welches dann aber aus Attraktivitätsgründen unbedingt ohne Bluse drunter getragen werden soll. Von den Promi-Damen im Dirndlwahn wollen wir jetzt gar nicht reden, die wenden sich sicher bald wieder dem Schmuck- oder Handtaschendesign zu oder gehen als Society-Lady in Wohltätigkeitsarbeit auf.

Da wir ja seit fast 100 Jahren Tracht und Trachtenmode verkaufen finden wir es jetzt auch mal an der Zeit, unsere Sichtweise des Ganzen darzulegen.

Grundsätzlich gibt es mal eine ganz große Unterscheidung: Tracht oder Trachtenmode(-gwand). Die Tracht wird von unseren Trachtenvereinen erhalten, gepflegt und getragen. Diese Tracht ist regional sehr unterschiedlich, wir haben zum Beispiel in unserem Dorf 3 Trachtenvereine, die unterschiedliche Tracht haben. Anhand der Tracht kann man sehen, bei welchem Verein der oder die Träger/in ist. Die Tracht ist traditionell gearbeitet, für Damen hochgeschlossen, stoffreich und  handwerklich aufwendig. Das Röcki (die schwarze Tracht für die verheiratete Frau) wird maßgeschneidert, je nach Ausführung und Stoffart kostet sie mit dem passenden Hut leicht 2000.-€. Die Männer tragen die tiefschwarze Plattlerhose, je nach Verein grün oder gelb bestickt. Dazu – bei uns – die Chiemgau-Joppe aus Kerntuch, einen Hut mit Gamsbart, Spielhahnfeder oder Adlerflaum, einen Ranzen, einen Vereinshosenträger – alles in allem auch leicht 2000.-€ wert.

 

 

Original Tracht
Trachtengwand

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Tracht tragen wir zu festlichen und besonderen Kirchenanlässen und zu Auftritten auf Traditions-Abenden. Wenn wir z.B. auf eine Trachtenhochzeit eingeladen sind, die nicht explizit den Trachtenverein eingeladen hat, erscheinen wir in einem festlichen Trachtengwand, nicht in der Original-Tracht. Wenn wir in den Biergarten gehen, haben die Männer eine kurze Lederhose in dezenter Farbkombination (braun mit altgrün oder beige gestickt) an, kombiniert mit einem weißen oder gestreiften Pfoad und einem Leiberl. Und die Frauen tragen Waschdirndl, Rock und Mieder – knielang bis lang in frischen Farbkombinationen. Und Mustermix. Das alles hat nichts mit der Original-Tracht zu tun, das ist Trachtengwand. Und das unterliegt ganz eindeutig auch Modeströmungen, von uns auch durchaus gewollt: Denn nur so kann das Trachtengwand attraktiv sein und bleiben. Das Trachtengwand gibt keine wirkliche Auskunft über den Ursprung, das Tegernseer Mieder mit Schößchen wird genauso von feschen Chiemgauer Damen getragen. Die kolportierten Mythen von wegen „Die Farbe des Hemdenkaros gibt Aufschluss, aus welcher Region Bayerns der Träger kommt“ oder „Lederhosen mit blauer Stickerei tragen nur Mitglieder des Tegernseer Burschenvereins“  sind absoluter Schmarrn.

Original Tracht
Trachtengwand

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei den Mode-Einflüssen haben wir ja über unsere lange Geschäftszeit schon auch einiges mitgemacht. Von den ersten modischen Entgleisungen des Trachtengwands wie der ersten Mini-Dirndl-Welle in den 70er Jahren, den Schlaghosen zum fostgrünen Original-Trachtenanzug, den Nylonhemden zur Plattlerlederhose haben wir nur von unseren Eltern erzählt bekommen.

In den Neunziger Jahren war das Trachten-Gwand  nur ungeliebte Pflichtkleidung, spießig hochgeschlossen, unkaputtmachbar , aus kratzigen Wollmaterialien, dunklen Farben – die perfekte Kleidung für gepflegte, ältere Herrschaften die Wert auf zeitlose und strapazierfähige Kleidung gelegt haben. In diesen Zeiten haben auch die jungen Mitglieder der Trachtenvereine  die Original-Trachtüberwiegend nur zu Fest-Anlässen getragen, im normalen Leben hatte fast niemand Trachtengwand an. Das mussten wirklich nur wir Kinder des Trachtengeschäfts anziehen. Und haben so manch abfälligen Kommentar über unser „Oma-Gwand“ erhalten. Auch im Aschauer Ortsbild waren nur einige Originale wie immer schon in der Lederhosn unterwegs: Sobald das Wetter dauerhaft frostfrei war in der Kurzn, ab Spätherbst in der Bundledernen.

Dann kam die Landhausmode: Segen & Fluch für´s Trachtengwand. Die Neuinterpretation von dirndeligen Einflüssen zu Kleidern, die freche Kombination von Leinen und Leder, die tieferen Ausschnitte und kürzeren Röcke – das alles war gerade am Anfang wirklich befreiend: Plötzlich waren junge, attraktive Frauen im Geschäft, es war schick in Landhausmode auszugehen, gerade in den Anfängen war es auch wirklich eine totale Verjüngung des Trachten-Gwands. Auch die Männer wollten dazupassen: Pfoadhemden, lange Lederhosen und Leinenwesten kamen in Mode.

Aber jetzt kamen auch die klassischen Mode-Mechanismen in´s Trachtengwand:

Da wollte jeder seinen besonderen Mode-Vorsprung zeigen, es wurde zum Wettkampf: Wo kann man noch ein Edelweiß hinbasteln, wie hoch kann man den Rock noch raffen bevor es endgültig unanständig wird, wo passt denn noch ein Kartoffelsack-Druck hin und wo bekomme ich denn ein noch schwereres Leinenhemd her? Als wir dann auf der Messe ein Bustier aus Ziegenleder mit Edelweißverschluss gesehen haben war uns klar, die Landhausmode ist durch.

Das war dann auch der Zeitpunkt wo die Landhausmode beim Kaffeeröster und beim Discounter im Regal lag, natürlich in absolut schauderhafter Passform und im getragenen Zustand der Sargnagel für die Landhausmode. Denn so wollte wirklich niemand aussehen. Mit Ausnahme von vielen Promis, erstaunlich wie lange sich die Ledermieder-Leinenmini-Mode in der Wiesn-Berichterstattung noch gehalten hat.

Wir sind in dieser Zeit schon lange auf den Dirndl-Weg umgeschwenkt, da wir mit unserer eigenen Schneiderei natürlich sehr schnell die ersten Dirndl-Modelle verwirklichen konnten. Die Schnitte aus den Siebziger Jahren waren da, das hätten unsere Schneiderinnen auch nicht gedacht, dass wir die mal wieder brauchen. So haben wir schnell eine große Auswahl an frischen Waschdirndln und edlen Festtagsdirndln entwickelt. Auch da hat es eine Saison gedauert bis die Männer dazukamen: Der Umstieg von kiloschweren Leder/Leinenwesten auf Stehkragen-Gilets war ganz einfach, die kurze Lederhose hat sich von Anfang an als schneidig und bequem erwiesen, das ist einfach eine „männergerechte“ Ausstattung.

Original Tracht
Trachtengwand

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir haben unsere Dirndl-Kompetenz immer mehr ausgebaut, wir führen richtig gute Dirndl-Marken und ausgewählte Kollektionen unserer langjährigen Trachten-Partner. Dazu lassen wir uns eigene Dirndl nähen: Vom günstigen Waschdirndl bis zum edlen Jaquard-Taftdirndl gibt es das ganze Jahr laufend neue Ware – die Modelle dazu entwerfen wir selbst. Deswegen würden wir uns aber nicht Designer nennen, denn wir werden nicht von einer modischen Vision und  einzigartiger Genialität geleitet sondern von unserem Trachten-Gefühl, das sich mit unserer täglichen Arbeit & dem Leben weiterentwickelt. Die Rufe aus der Neu-Trachtenanbieter-Riege, dass das Trachtengwand wieder in den Alltag einziehen muss verstehen wir irgendwie nicht: Bei uns ist es da doch seit vielen Jahren? Natürlich macht es keinen Sinn, dass eine Metzgereiverkäuferin ein Dirndl unter Ihrer Schürze trägt, aber gerade im Bereich Tourismus/Gastronomie/Verkauf ist das Trachtengwand bei uns jeden Tag zu sehen. Wir steigern uns da ständig, vor einigen Jahren war z.B. ein rotkariertes Waschdirndl mit blauer Schürze schon eine wunderbare Ausstattung. Jetzt haben wir das rotweiße Waschdirndl oben kariert, im Rock getupft, die doppelten Abnäher hinten sind rot uni auspaspeliert, den Saum ziert ein rotes Kittelblech und um den Ausschnitt ist noch eine passende Bordüre in rot/weiß aufgenäht. Auch die Vielfalt an Kragenformen, Schößchendirndl, Glockenrock ist erst wieder aus der Dirndl-Entwicklung entstanden, das ist wieder ein Zeichen dass auch das Dirndl der Mode unterliegt.

Waschdirndl 2006
Waschdirndl 2015

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es könnte so schön sein….das Dirndl bietet noch unendliche Verwandlungsmöglichkeiten im schönen Bereich.

Doch jetzt geht’s leider schon wieder los: Glitzermieder mit Schnürung UND Miederstecker UND doppelter Herzerlrüsche UND Plisseesaum am Dirndl und Schürze UND besticktem Samtbesatz auf der Schürze UND einen sichtbaren Unterrock mit Taftrüsche als Abschluss …. Es wird schon wieder alles auf das Dirndl gepackt was geht, einzig an der Stoffmenge wird noch eingespart: So kommen auch die teuersten Körperteile maximal zur Geltung.

Und auch die Discounter und Kafferöster mischen sich wieder unter die Anbieter-passformmäßig und qualitativ leider genauso armselig wie zu Zeiten der Landhausmode.

Dann gibt es die Gegenströmung, die sich – modisch natürlich ganz vorne dabei – gerade von diesem überladenen Glitzerdirndlwahn abheben möchte. Dirndl wie anno dazumal: Wolljaquards, hochgeschlossen, lange schmale Ärmel. Das ganze kombiniert mit sehr hohen Schnürschuhen und Ajour-Strümpfen. Statt Blumenkranz ein Vogelnest aus geflochtenen Haaren auf dem Kopf, das ist das andere Extrem das gerade in der Trachtenmode ausgelebt wird. Puristisch & streng erinnert es uns an stark veredelten Vorkriegs-Schick – findet die junge Generation toll, die gottseidank weit von dieser Zeit weg ist.

BW Dirndl hochgeschlossen

 

Und die dritte Fraktion sind dann die Trachtler, die Mitglieder der Trachtenvereine die auch außerhalb der Festtagstracht trachtenecht gekleidet sein wollen: Diese Gruppe versucht sich mit hochwertigen Details von den beiden Trachtenextremen abzusetzen: Alle Kleidungsstücke werden richtig aufwendig verarbeitet, die Röcke wieder handgestiftelt, die Schößchen wieder roßhaar-unterlegt dass sie maximal abstehen, die hirschledernen Hosen reich bestickt und Loferl und Strümpfe wieder handgestrickt. Nahezu jeder Mann trägt einen grünen Samthut, die Damen das echte Gretei – die klassische Zopffrisur der Trachtenvereine. Es wird wieder viel selbstgenäht, Dirndl- und Miedernähkurse erleben eine absolute Hochzeit. Die Ergebnisse sind oft handwerklich eine Schau – von den Passformen her leider nicht. Die echte Tracht ist meist nicht sonderlich figurfreundlich, ein handgereihter Rock mit reichlich Weite macht einfach breit, ein perfekt auf Figur gearbeitetes Mieder ohne Dirndl-BH ist nicht sehr vorteilhaft und handgestrickte Rauhwoll-Loferl an weißen Männerbeinen gar nicht schneidig.

Und da bringen wir uns jetzt wieder in´s Spiel: Wir versuchen genau, die attraktive Schnittmenge aus den vielen Einflüssen zu sein. Wir haben sehr preisgünstige, junge Waschdirndl – in guter Passform und sehr ordentlicher Dirndlverarbeitung ebenso wie lässige Lederhosen: Antik patiniert und urig bestickt. Genauso haben wir aber Dirndl aus handgedruckten Stoffen, die wir von Hand hier im Chiemgau anfertigen lassen: Echt durch und durch und in perfekter, attraktiver Passform. Wir haben (ja, das Dirndl bekommt langsam Ablösung) Mieder, gestiftelte Röcke, Handdruckschürzen, Lodengilets, Streseman-Hosen, Lodenjoppen mit gestrickten Ärmeln, Hirschlederhosen und vieles mehr in großer Auswahl – immer mit dem Anspruch den/die Träger/in des Gwands attraktiv anzuziehen, und dem Modewunsch gerecht zu werden: Junge Mädchen mögen oft ein bisschen mehr Glanz und Details am Dirndl als gestandene Frauen, Menschen die im Trachtengwand arbeiten haben ein anderes Passform-Verständnis als Trachtler und andere Ansprüche an Pflegeleichtigkeit und Langlebigkeit unserer Sachen – auch da bieten wir alle Möglichkeiten und erarbeiten uns vor dem Spiegel die optimale Einkleidung. Wir sind dann zufrieden, wenn unsere Kunden glücklich sind. Und wie wir vom Vergleich mit Kollegen wissen, sind unsere Kunden ganz besonders gut informiert und im Bereich Passform sehr anspruchsvoll: Da schicken wir schon sehr gute Beispiele in die Trachtenwelt hinaus.

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Und dieser Anspruch der Kunden und auch unserer eigener an uns selbst lässt uns am Boden bleiben und manche Narretei nicht mitmachen. Pinke Hüte mit Federn finden wir im Festzelt ebenso unpraktisch und unpassend wie Almabtrieb-Blumenschmuck auf dem Kopf: Da haben wir in den Hochzeiten sicherlich einiges an Umsatz verpasst und auch Unverständnis bei den Kundinnen geerntet. Wir fragen uns, was diese Damen heute zu Ihren Fotos mit großem Kopfputz sagen?! Der Trend ärmellose Blusen in Wolldirndl anzuziehen macht uns ratlos: Was für einen Sinn macht es, am Körper 2 Lagen Stoff zu haben und dennoch das Dirndl unterm Arm zu verschwitzen, das man dann nicht waschen kann? Auch die hochgeschlossenen Dirndl zeigen wir gerne mit Varianten – groß ist die Gefahr bei diesen Modellen, dass sie unvorteilhaft flächig oder altbacken wirken. Da ist ein schöner Ausschnitt mit einer hohen Bluse oft die attraktivere Alternative.

Wir sind froh, dass wir diese Mode-Spitzen auslassen und in unserem Gefühlsrahmen Trachtengwand mit Mode vereinen, alleine wenn wir unsere Bilder der Modenschauen der vergangenen Jahre ansehen sind wir damit sehr zufrieden: Fesch und traditionell gleichzeitig – geht doch!

Und so schauen wir dem Treiben weiter zu, in der festen Überzeugung dass es das Trachten-Gwand immer geben wird: In immer neuen Facetten aber immer mit einem soliden Kern Tracht. Und immer in der aktuellen Form bei uns –

Ihrem Trachtenhaus Peteranderl